Mathematik, Informatik und … Schwarze Löcher?

Markus Pössel

Die Lindau Lecture beim Heidelberg Laureate Forum ist mittlerweile eine liebgewonnene Tradition: Bei jedem HLF spricht ein Nobelpreisträger über seine Arbeit, und im Gegenzug hält bei jedem der Lindauer Nobelpreistreffen einer der Mathematik- oder Informatikpreisträger einen Vortrag. Dass die HLF-Schwerpunktthemen Informatik und Mathematik so eng mit einem Nobelpreisträger-Vortrag verknüpft sind wie in diesem Jahr, mit dem Vortrag von Reinhard Genzel vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching, dürfte allerdings selten sein. Genzel erhielt (zusammen mit Andrea Ghez und Roger Penrose) den Physik-Nobelpreis 2020 für seine Arbeiten zur Entdeckung und Charakterisierung des Schwarzen Lochs im Zentrum unserer eigenen Milchstraße.

Mit Mathematik auf der Suche nach schwarzen Löchern – seit 1784

Die Querverbindung zur Mathematik reicht dabei einige hundert Jahre zurück: zu Isaac Newton, der, hätte es diese beiden Preise damals bereits gegeben, sicherlich sowohl einen Physik-Nobelpreis als auch eine Fields-Medaille erhalten hätte. Schließlich formulierte er einerseits die Grundlagen von Mechanik und Gravitationsphysik und erfand andererseits als dazu notwendigen Formalismus die Differential- und Integralrechnung – Grundlage eines beachtlichen Teils der modernen Mathematik.

Genzel ging zu Anfang seines Vortrags denn auch auf die beiden Wissenschaftler ein, die Newtons Formalismus nutzten, um erstmals so etwas wie eine Vorläufer-Version von Schwarzen Löchern zu beschreiben: Körper, die so kompakt sind, dass seine (Newtonsche) Fluchtgeschwindigkeit größer ist als die Lichtgeschwindigkeit; ein einfaches Teilchenmodell des Lichts zugrundegelegt kann kein Licht von der Oberfläche eines solchen Körpers ins Unendliche entweichen. Einer der beiden Wissenschaftler war Pierre-Simon Laplace, einer der Mathematiker, die die Newtonsche Theorie in die Form gebracht haben, die wir heute kennen. Der andere war John Michell, der in einem Artikel von 1784 bereits die Grundlagen jener Forschung beschrieb, die Genzel und seine Kollegen rund 200 Jahre später durchführen würden: In Bezug auf die von ihm beschriebenen schwarzen Löcher, die per definitionem nicht sichtbar sind, spekuliert Michell, dass “wenn andere leuchtende Körper zufällig um sie kreisen, wir aus den Bewegungen dieser kreisenden Körper mit einiger Wahrscheinlichkeit auf die Existenz der zentralen Körper schließen könnten.” Genau das tat Genzels Gruppe und unabhängig davon die Gruppe von Andrea Ghez: Sie verfolgten die Bewegung von Sternen um das zentrale Schwarze Loch in unserer Milchstraße und schlossen aus der Bewegung jener Sterne auf die Existenz des Schwarzen Lochs sowie auf seine Masse.

Eine Reise mit Hard- und Software

Aber die Reise zum Schwarzen Loch im Zentrum der Milchstraße, wie sie dieses Video der Europäischen Südsternwarte ESO (deren Teleskope Genzel nutzte und nutzt) illustriert, setzt nicht nur Mathematik, sondern auch Hard- und Software voraus.

Die eigentlichen Beobachtungen, so machte Genzel deutlich, wären schließlich ohne modernste Hard- und Software nicht möglich gewesen: Steuerungssysteme in der “adaptiven Optik”, die einen Spiegel geeignet verformen, um die Bildverzerrungen durch die Turbulenzen in der Erdatmosphäre weitgehend auszugleichen, sowie Kamerachips, die für Infrarotstrahlung empfindlich sind, für die Beobachtungen selbst. Und, last but not least, die Rechenleistung, um all das zusammenzufügen: die Sternbewegungen um das Schwarze Loch zu rekonstruieren und daraus die Masse des Schwarzen Lochs abzuleiten. Auf die Frage eines Teilnehmers, wie Informatiker bei dieser Art von Forschung helfen können, antwortete Genzel, dass Astronomen schon immer zu den ersten Abnehmern neuer und leistungsfähiger Computer gehörten – von der Datenanalyse bis hin zu umfassenden Simulationen der Geschichte des gesamten Universums. Wenn es um Schwarze Löcher geht liegen Lindau und Heidelberg jedenfalls deutlich näher beieinander, als man denken könnte.

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