John Hopcroft, über die Gegenwart und Zukunft der Lehrtätigkeit

Demian Goos

John Hopcroft ist Preisträger des ACM A.M Turing Award, den er 1986 zusammen mit Robert E. Tarjan für grundlegende Errungenschaften im Design und in der Analyse von Algorithmen und Datenstrukturen erlangte. Er zeichnete sich besonders durch seine hervorragende und inspirierende Lehrtätigkeit aus. Während des diesjährigen 7. Heidelberg Laureate Forum unterhielt ich mich mit ihm darüber.

 

Herr Hopcroft. Menschen, die sich für das Lehren begeistern, haben generell ein Vorbild aus der eigenen Schulzeit. Ist das bei Ihnen auch der Fall und falls ja, wer war es?

Ich hatte sehr viel Glück, denn ich hatte sehr viele inspirierende Lehrer. Nicht nur in der Grund- und Sekundarschule, sondern auch an der Uni. Ich hatte zum Beispiel einen sehr guten Grundschullehrer, der mir damals Algebra beibrachte. Er war aber auch Football Coach und er war in beiden Fächern gut. Er hat in meinem Leben seine Spur hinterlassen, was dazu führte, dass auch ich dann einen solchen Einfluss auf andere Menschen haben wollte. Was er tat, so glaube ich jedenfalls, war, den Schülern stets zu zeigen, wie wichtig deren Erfolg für ihn war. Und das kam auch an! Es ist wichtig, dass die Schüler merken, dass der Lehrer sich wirklich um ihre Zukunft sorgt.

Wie sollte sich denn ein Student im Unterricht fühlen?

Es ist egal, ob der Dozent viel Erfahrung hat und ob er viel weiß. Wie er den Unterricht oder die Vorlesung gestaltet, ist auch nicht der Knackpunkt. Das ist zwar wichtig, doch weitaus wichtiger ist es, dass dieser den Schülern seine Leidenschaft weitergibt. Das macht einen guten Dozenten aus. Denn wenn man das im Sinne hat, dann kommen die ersten beiden Eigenschaften automatisch dazu. Wenn Studenten ein Thema nicht verstehen, dann helfen die Erfahrung des Lehrers oder die Unterrichtsgestaltung auch nicht weiter. Dass der Dozent sich um seine Studenten sorgt, tut es aber doch.

Wie kann man es schaffen, dass sich Studenten im Unterricht wohlfühlen?

Es muss von einem selbst kommen. Es muss für dich eine Selbstverständlichkeit sein, das erreichen zu wollen. Wenn ein Student ein Problem mit einer Hausaufgabe hat, ist diese nicht das Problem, sondern dass der Student den Lehrstoff nicht verstanden hat. Dann versuche ich, ihm dieses Thema von Beginn an zu erklären und nehme mir die entsprechende Zeit dafür. Das muss man in jeder Situation so angehen. Man muss sich fragen, wie man dieser Person helfen kann. Und wenn man sehr viele Studenten in einem Kurs hat, dann kann man ja eigentlich nicht jedem persönlich helfen. Das ist ein Problem. Aber dann hat man die Möglichkeit, das ganze Dozententeam auf die Notwendigkeit aufmerksam machen, sich besonders um die Studenten zu kümmern.

Ändern Sie eine Vorlesung, wenn Sie merken, dass das Feedback der Studenten nicht gut ist?

Ja. Ich bereite tatsächlich immer meine Vorlesungen vor und ich weiß auch immer, was ich sagen werde, und wenn ich dennoch nach 15 Minuten merke, dass es nicht funktioniert, muss ich es ändern. Es gibt da keinen Ausweg. Auch deswegen sollte man im Unterricht keine Präsentationen oder Ähnliches verwenden. Es übt einen negativen Einfluss auf die Vorlesung aus, denn man kann sich nicht anpassen. Man ist steif. Es gibt für den Unterricht nichts Besseres, als eine Tafel zu benutzen.

Was denken Sie über unorthodoxe, neuere Lehrmetoden? Benutzen Sie sie?

Ich benutze sie nicht. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht wertvoll sind. Manche sagen, dass man eigentlich nicht unterrichten sollte, sondern sich darum kümmern sollte, die Schüler zu fesseln. Dafür ist jedes Hilfsmittel wertvoll. Man muss aber auch anmerken, dass man äußerst viel Zeit in solche Methoden investieren muss. Es muss auch vorher klar sein, was das Ziel der Bildung auf universitärem Niveau eigentlich ist, damit diese Methoden dieses Ziel unterstützen. Das ist aber leider nicht immer klar.

Was meinen Sie damit?

Ein junger Mensch studiert nicht, um einen Job zu bekommen, sondern um sein gesamtes zukünftiges Leben zu gestalten. Sie sollten einen Job nicht des Gehaltes wegen annehmen, denn der Job ist eine fundamentale Grundlage eines jeden Lebens. Und da will man doch ein Gewinner sein. Man sollte nicht das Gefühl haben, dass man jeden Tag arbeiten geht, sondern dass man jeden Tag Spaß haben geht. Sucht euch aus, was euch Spaß macht. Man lernt an der Uni eben auch nicht nur den Lehrstoff, sondern auch andere Dinge, wie zum Beispiel mit anderen Kommilitonen zu interagieren. Die größten Erkenntnisse findet man außerhalb der Vorlesungen, nicht während dieser. In diesem Sinne ist es als Dozent besonders wichtig, den Studenten auch fernab des Lehrstoffes Wissen und Weisheit weiterzugeben. Das sollte jedem Dozenten wichtig sein. Wenn es zum Beispiel Wahlfächer gibt, müssen die Studenten besonders darauf achten, was man eigentlich vom Kurs erwartet. Man muss auch in die Zukunft projizieren und sich bewusst werden, dass viele Entscheidungen während der Zeit an der Uni sich auf das ganze Leben auswirken. Man sollte nicht auf die Anforderungen achten, die man vom Lehrplan bekommt, sondern auf die eigenen Anforderungen an das Leben.

Sie haben einen der ersten Computer-Science Kurse unterrichtet. Was muss man denn tun, wenn man ein neues Fach unterrichten möchte und einen Lehrplan dafür gestalten muss?

Es hängt stark vom jeweiligen Gebiet ab. Als Beispiel möchte ich hier Deep Learning anführen, was heute besonders im Trend ist. Aber die wichtigsten Ergebnisse beruhen auf experimentellen Ansätzen. Und wie unterrichtet man das? Es gibt (noch) keine mathematische Theorie, die rechtfertigt, warum Deep Learning funktioniert. Man muss also, wenn man so etwas Neues unterrichtet, alles zusammentun, was man zur Verfügung hat und mit der Zeit weitet man das aus und bezieht neue Themen mit ein. Man muss aber immer, wenn man etwas Neues unterrichtet, eine Theorie dazu entwickeln. Das ist für mich das Wichtigste dabei.

Sie führen in China Maßnahmen und Strategien im akademischen Bereich ein, um die Lehrtätigkeit dort zu verbessen. Was kann man aber auf einer kleineren Skala tun, um die Lehrtätigkeit zu verbessern?

Wenn ein System nicht funktioniert, muss man sich die ehrliche Frage stellen, warum es denn nicht funktioniert. Was wir in China taten, war, den Universitäten die Verbesserung ihrer Arbeit in der Lehrtätigkeit attraktiv zu machen. Sie sollten eine Motivation haben, besonders im finanziellen Bereich, sich darauf zu konzentrieren. Das Wichtige hier ist aber, dass die Unterstützung für dieses Unterfangen von oben kam. Nur dadurch kann man solche Änderungen einleiten. Ich habe in vielen Ländern unterrichtet und habe überall all diejenigen unterstützt, die sich für solche Änderungen einsetzen. Jedoch hatten weder ich noch der Einzelne einen tatsächlichen Einfluss, weil der Versuch bereits im Keim erstickte. Die Regierung muss eine solche Idee unterstützen, ein ehrliches Interesse dafür haben und ein konkretes Zeichen setzen. Nur so kann man etwas langfristig ändern.

Wie denken Sie, wird sich die Lehrtätigkeit in der Zukunft ändern?

Das ist schwierig zu sagen. Aber wir können die Frage anders anpacken. Man sagt ja heutzutage, dass wir uns mitten in einer Informationsrevolution befinden. Wenn wir uns also andere größere Änderungen in der Vergangenheit anschauen, hilft uns das vielleicht weiter. Die wohl erste wirklich tragende Änderung in der Menschheitsgeschichte war wohl die Landwirtschaftsrevolution. Durch diese kam es dazu, dass sich Gesellschaften entwickelten, denn damit die Landwirtschaft gedeihen konnte, brauchte man eine hart arbeitende Truppe. Bis dahin war aber die Bildung nicht so wichtig, denn das ist im Land nicht so maßgebend wie andere Fertigkeiten. Dann kam die industrielle Revolution, die die körperliche Arbeit in Fabriken abschaffte und alles im großen Stil nochmal änderte. Heutzutage braucht man aber mindestens einen Schulabschluss, denn egal wo man arbeitet, muss man mit Zahlen umgehen können und man muss vor allem dazu fähig sein, sich mit anderen ordentlich verständigen zu können. Das änderte die Art und Weise der Bildung. Bis vor wenigen Jahrzehnten also, in der Blütezeit des Industriezeitalters, verhalfen Energiequellen und Rohstoffe mächtigen Staaten zu ihrem Status. Man nimmt an, dass sich das jetzt in der Informationsrevolution erneut ändern wird, denn diese werden dann jedem Land zur Verfügung stehen. Länder werden sich dann durch ihre Fähigkeit auszeichnen, Talente zu entwickeln, was vor allem durch Bildung zu erreichen ist. Die Länder, die ihre Bildungsstrategien angemessen verbessern werden, sind es also, die in der Zukunft die Führungspositionen in der Welt übernehmen werden.

Eines der anderen Themen, an denen ich in diesem Kontext arbeite, ist die frühe Kindheit. Ich habe mich mit sehr vielen Wissenschaftlern unterhalten, die diese Phase studieren und analysieren und alle sind sich einig, dass man den größtmöglichen Payoff erfährt, wenn man zum frühestmöglichen Zeitpunkt in die Bildung investiert. Mit „frühestmöglichen Zeitpunkt“ meine ich die ersten zwei Jahre im Leben. Das ist erstaunlich. Meine Frage war, ob es wirklich Forschung gibt, die dies untermauert. und tatsächlich gibt es in den letzten 25 Jahren unglaublich viele Studien, die belegen, dass zur optimalen Entwicklung des Gehirnes eines Kleinkindes eine friedliche und stabile Umgebung während des Wachstums wichtig ist. Kinder entwickeln immer mehr Fertigkeiten, bis sie um die 20 werden und vollkommen ausgereift sind, aber in den ersten zwei Jahren lernen Kinder, wie man lernt und das ist das Wichtige hier. Das muss man erfolgreich anpacken, damit sich die Kinder später bereits in der Grundschule durch besondere Fertigkeiten auszeichnen. Aber es geht sogar noch einen Schritt weiter. Wenn man nämlich wirklich in die frühestmögliche Bildung investiert, so ist das auch nachgewiesenermaßen im finanziellen Bereich eine der besten Investitionen, die man machen kann. Das macht aber kein Politiker, denn das wären ja langfristige Maßnahmen und Politiker denken nur an die nächsten 5 Jahre.

Wie kann man es denn schaffen, dass der Gesellschaft die Bedeutung von Talent bewusst wird?

Ich denke oft über strategische Möglichkeiten nach, um die Gesellschaft darauf aufmerksam zu machen. Menschen müssen sich bewusst werden, dass wir nur einmal leben und dass wir es genießen müssen. Man muss das suchen, was einem im Leben wirklich Spaß macht und dann dafür Zeit investieren. Ich hatte im Leben sehr viele PhD Students, und nur einer von ihnen erlangte nie seinen Doktorgrad. Er kam nämlich einmal zu mir, um mir zu erklären, dass er Skilehrer werden möchte. Und es war natürlich die richtige Entscheidung. Wäre er im akademischen Bereich geblieben, würde er sicherlich nicht so sehr seine Arbeit genießen, wie er es heute tut und das ist sicherlich für seine Schüler besonders wichtig. Er wird einen positiven Einfluss auf deren Leben haben und etwas Besseres als das gibt es nicht. Ich versuche deswegen, Menschen dazu zu bewegen, eben das zu tun, was sie glücklich macht. Wenn man einen Job macht, den man wirklich genießt und man einen Kollegen hat, der vielleicht brillanter und talentierter ist, es aber nicht so sehr genießt wie du, dann wirst du sicherlich den besseren Job machen.

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